Hyperinflation
Hyperinflation ist eine Form der Inflation, in der sich das Preisniveau sehr schnell erhöht. Eine allgemein akzeptierte Definition existiert nicht, eine 1956 von Phillip D. Cagan aufgestellte Faustregel[1] von monatlichen Inflationsraten von 50 % (entsprechend einer jährlichen Rate von umgerechnet rund 13.000 %) ist aber weit verbreitet. Vereinfacht ausgedrückt ist eine Hyperinflation eine unkontrollierbare Inflation mit extrem hoher monatlicher Rate. Meist dauern Hyperinflationen nur eine kurze Zeit und enden in einer Währungsreform.
Inhaltsverzeichnis
Allgemeines
Vor dem 20. Jahrhundert waren Hyperinflationen selten, da die Ökonomien bei Überschreitung eines gewissen Inflationsniveaus zu ungeprägten Edelmetallen als Geldersatz oder zu Naturaltausch übergingen. Die immer weitere Verbreitung von ungedecktem Geld (Fiatgeld) ermöglichte Hyperinflationen. Der Verursacher der (Hyper-)Inflation ist immer der Staat, da er sich zur Deckung seiner Ausgaben (Erfüllung von Leistungsversprechen) permanent verschulden muss und damit letztlich das Vertrauen in die eigene Währung untergräbt.[2]
Während gewöhnliche Inflationen meist mit ökonomischen Ursachen begründet werden, sind Hyperinflationen darüber hinaus fast immer mit schwerwiegenden Erschütterungen der Volkswirtschaft infolge von Krieg, Bürgerkrieg oder gesellschaftlichen Umbruchsituationen verbunden. Die sowjetische Hyperinflation von 1919 bis 1922 hatte das Ziel der Abschaffung des Geldes als Zahlungsmittel.
Kapitalflucht
Wie bei einer Inflation kommt es sehr schnell zu Anlagen in fremder Währung. Um die damit verbundene Kapitalflucht zu stoppen, kommt es während der Hyperinflation zu Devisenbewirtschaftung und massiver Devisenverkehrsbeschränkung. Angesichts des seit Ende des 20. Jahrhunderts möglichen weltweiten bargeldlosen Zahlungsverkehrs sind jedoch solche Maßnahmen nur noch begrenzt möglich.
Flucht in Sachwerte
Eine Hyperinflation führt bei den Geldanlegern oft zu einer „Flucht in Sachwerte“ und zu einem weitgehenden Verlust aller anderen Geldanlagen wie z. B. Anleihen, welche auf die betreffende Währung lauten. Dies ist ein sich selbst verstärkender Vorgang.
Sachwerte sind vorrangig Immobilien und Rohstoffe, aber auch Edelmetalle oder Aktien. Die Folge ist oft eine vorübergehende Verknappung von Zahlungsmitteln, wenn beispielsweise die Kunden einer Bank ihre gesamten Ersparnisse abheben.
Quantitätsgleichung der Hyperinflation
Eine Erklärung für das Ansteigen des allgemeinen Preisniveaus in der Hyperinflation bietet die Quantitätsgleichung von Irving Fisher:
- <math>\text{Transaktionsanzahl} \cdot \text{Preisniveau} = \text{Geldmenge} \cdot \text{Umlaufgeschwindigkeit}</math>
Diese Formel lässt sich umformen zu:
- <math>\text{Preisniveau} = \frac{\text{Geldmenge} \cdot \text{Umlaufgeschwindigkeit}}{\text{Transaktionsanzahl}}</math>
Das Preisniveau steigt also demnach u. a.
- proportional zur Geldmenge (wenn etwa die Zentralbank mehr Geld in Umlauf bringt, Umlaufgeschwindigkeit und Transaktionsanzahl jedoch unverändert bleiben);
- desgleichen proportional zur Umlaufgeschwindigkeit, wenn Geldmenge und Transaktionsanzahl unverändert bleiben;
- ebenso proportional zum Kehrwert der Transaktionsanzahl (z. B. bei Störung des Wirtschaftskreislaufs durch Katastrophen, wenn etwa plötzlich die Lieferbarkeit wegbricht, aber die Nachfrage bleibt, wobei Geldmenge und Umlaufgeschwindigkeit unverändert sein sollen).
Geschichte
Es gibt verschiedene geschichtliche Episoden von Hyperinflationen mit monatlichen Inflationsraten von über 50 Prozent. Beispiele sind
Zeitraum | Land | Resultat | Anmerkungen |
---|---|---|---|
1919–1922 | Sowjetrussland | ||
1922–1924 | Sowjetunion | maximale monatliche Inflationsrate von 212 % | |
1919–1923 | Deutsches Reich | 1.000.000.000.000 Mark
→ 1 Rentenmark (15. November 1923) |
maximale monatliche Inflationsrate von 29.525 % im Oktober 1923; 11 Monate über 50 %[3] |
1919–1924 | Österreich | 10.000 Kronen
→ 1 Schilling (20. Dezember 1924) |
maximale monatliche Inflationsrate von 129 % im August 1922; 4 Monate über 50 %[3] |
1921–1926 | Ungarn | 12.500 Korona (Kronen)
→ 1 Pengő (27. Dezember 1926) |
maximale monatliche Inflationsrate von 98 % im Juli 1923; 5 Monate über 50 %[3] |
1921–1924 | Polen | 1.800.000 Polnische Mark
→ 1 Złoty (14. April 1924) |
maximale monatliche Inflationsrate von 275 % im Oktober 1923; 9 Monate über 50 %[3] |
1923 | Freie Stadt Danzig | Einführung der Danziger Gulden | maximale monatliche Inflationsrate von 2.440 % |
1943/44 | Griechenland | 50.000.000.000 Erste Drachmen
→ 1 Zweite Drachme |
maximale monatliche Inflationsrate von 13.800 % |
1945 | Taiwan | maximale monatliche Inflationsrate von 399 % | |
1945–1946 | Ungarn | 400.000.000.000.000.000.000.000.000.000 Pengő
→ 1 Forint |
höchste jemals erreichte Inflation mit einer maximalen monatlichen Rate von 4,19 Billiarden Prozent (Verdreifachung der Preise pro Tag) |
1943–1949 | Volksrepublik China[4] | 15.000.000.000.000.000.000 Yuan
→ 1 Renminbi |
maximale monatliche Inflationsrate von 5.070 % |
1985 | Bolivien[5] | ||
1988 | Nicaragua[6] | ||
1988 | Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien | ||
1989 | Polen[9] | 10.000 Polnische Złoty (PLZ)
→ 1 Neuer Polnischer Złoty (PLN) (1. Januar 1995) |
|
1989/1990 | Brasilien[10] | maximale monatliche Inflationsrate von 84 %[11] | |
1989/1990 | Argentinien[12] | maximale monatliche Inflationsrate von 197 %[11] | |
1990 | Peru[13] | maximale monatliche Inflationsrate von 397 % | |
1990–1994 | Bosnien und Herzegowina und Jugoslawien[14] | maximale monatliche Inflationsrate von 322 % | |
1990–1994 | Jugoslawien | die dritthöchste jemals erreichte Inflation mit einer maximalen monatlichen Inflationsrate von 313 Millionen % | |
1990–1994 | Zaire[15] | maximale monatliche Inflationsrate von 250 % | |
1992 | Russland[16] | 1000 RUR
→ 1 RUB |
maximale monatliche Inflationsrate von 245 % |
1992 | Ukraine | maximale monatliche Inflationsrate von 285 % | |
1992–1994 | Georgien | maximale monatliche Inflationsrate von 211 %. Siehe Wirtschaft Georgiens | |
1993 | Armenien | maximale monatliche Inflationsrate von 438 %[11] | |
1993 | Turkmenistan | maximale monatliche Inflationsrate von 429 % | |
1994, 1996/1997 | Angola[17] | ||
2006–2009 | Simbabwe | Abschaffung der Währung | die zweithöchste jemals erreichte Inflation mit einer maximalen monatlichen Inflationsrate von 79,6 Milliarden %, siehe auch Simbabwe-Dollar. |
2011–2012 | Weißrussland[18] | 10.000 BYR
→ 1 BYN |
siehe Weißrussischer Rubel |
2016 | Venezuela | Der Präsident wollte im Juni 2018 bei der Währung "drei Nullen streichen"[19] | tägliche Inflation sechs Prozent, Prognose für 2017: 2.400 %[20] Prognose für 2018: 13.864 % [21] |
Auch vor dem 20. Jahrhundert gab es schwere Inflationen:
Zeitraum | Land/Anmerkungen |
---|---|
276 bis 334 | Weströmisches Reich |
1166 | Kaiserreich China[22] |
1620–1623 | Mitteleuropa |
1719–1720 | Frankreich[23] |
1789–1796 | Frankreich |
1861–1865 | USA, vor allem Südstaaten[24] |
Literatur
- Adam Fergusson: Das Ende des Geldes (Englischer Originaltitel: When Money Dies); Finanzbuch-Verlag, München 2011 ISBN 978-3-89879-627-9[25]
- Bernholz, Peter (2006): Monetary Regimes and Inflation. Edward Elgar.
- Milton Friedman (Hrsg.): Studies in the quantity theory of money. University of Chicago Press, Chicago 1956.
Einzelnachweise
- ↑ Phillip D. Cagan: : The Monetary Dynamics of Hyperinflation. In: Milton Friedman (Hrsg.): Studies in the quantity theory of money. University of Chicago Press, Chicago 1956, S. 25–117 (PDF; 1,2 MB (Seite nicht mehr abrufbar; Suche in Webarchiven)).
- ↑ Paul C. Martin: Wann kommt der Staatsbankrott?. München: Wirtschaftsverlag Langen-Müller/Herbig 1983, ISBN 3-7844-7119-6
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 Uwe Westphal: Makroökonomik: Theorie, Empirie und Politikanalyse. 2. Auflage. Springer-Verlag, 2013, ISBN 978-3-642-78955-7, S. 530 (Daten aus Michael Bruno: High Inflation and the Nominal Anchors of an Open Economy, Princeton 1991, S. 2).
- ↑ Archivlink (Memento vom 4. November 2004 im Internet Archive)
- ↑ Uwe Jean Heuser: weltwirtschaft: Die Wandlung des Jeffrey Sachs. In: Die Zeit. Nr. 38/2003 (online).
- ↑ http://2001662.homepagemodules.de/t475443f11745512_Nicaragua_Der_Sieg_der_Sandinisten.html
- ↑ Inflation and price stabilisation policy in Yugoslavia, Egon Žižmond, Faculty of Economics and Business Administration, University of Maribor, Maribor, Yugoslavia, published in: Post-Communist Economies, Volume 3 Issue 2 June 1991, pages 187-200, informaworld
- ↑ Banka Slovenije
- ↑ Archivlink (Memento vom 15. April 2005 im Internet Archive)
- ↑ Archivlink (Memento vom 18. Dezember 2004 im Internet Archive), siehe auch Fernando Henrique Cardoso
- ↑ 11,0 11,1 11,2 Heimo Losbichler: Cashflow, Investition und Finanzierung (= Grundlagen der finanziellen Unternehmensführung. Band 3). Band 3. Linde, Wien 2015, ISBN 978-3-7094-0678-6, S. 106 (Daten aus Märkte und Zertifikate März/April 2012, RBS-Bank).
- ↑ https://en.wikipedia.org/wiki/Defekte_Weblinks?dwl=http://www.inwent.org/E+Z/1997%E2%80%932002/ez602-9.htm Seite nicht mehr abrufbar], Suche in Webarchiven: (PDF), [http://www.inwent.org/E+Z/1997%E2%80%932002/ez602-9.htm (Seite nicht mehr abrufbar; Suche in Webarchiven)]
- ↑ Archivlink (Memento vom 1. September 2004 im Internet Archive)
- ↑ http://www.bmlv.gv.at/download_archiv/ausle_unterlagen/k_e_landesinfo_ab2.pdf (PDF)
- ↑ http://www.tomchao.com/hb20.html, http://129.194.252.80/catfiles/1916.pdf (Seite nicht mehr abrufbar; Suche in Webarchiven) (PDF)
- ↑ http://www.bpb.de/publikationen/D0THIA,0,0,Die_Finanzkrise_in_Russland_im_Gefolge_der_Asienkrise.html
- ↑ http://www.us-angola.org/pressreleases/071904.htm, Archivlink (Memento vom 30. Oktober 2004 im Internet Archive)
- ↑ http://wirtschaft.t-online.de/hyper-inflation-in-weissrussland/id_52182478/index
- ↑ Maduro lässt sich zum Wahlsieger erklären, SRF, 21. Mai 2018
- ↑ Tristes Leben mit der Hyperinflation, NZZ, 3. November 2016
- ↑ SPON, 20. Mai 2018
- ↑ http://www.ex.ac.uk/~RDavies/arian/amser/chrono4.html
- ↑ http://www.atimes.com/atimes/Global_Economy/DK08Dj01.html
- ↑ http://teacherlink.org/content/social/instructional/inflation/procedures.html
- ↑ 1.000.000.000.000 Mark in: FAZ vom 18. Juli 2011, Seite 10
Externe Links
Spenden-Adressen:
BTC: 1EoecgUZnAjamUYaKstqwbremQqbucTaoZ
ETH: 0x0D2Ab63dfe70a7fA12f9d66eCfEA9dDc8F5173A8
XEM: NBZPMU-XES6ST-ITEBR3-IHAPTR-APGI3Y-RAAMHV-VZFJ
XVG: DGYmzxoe3ryK6MnsR13GqR9r1NThpxPcKs